Kinder- und Jugendhaus: Von Boxtraining über Holzarbeiten bis Puppentheater

Zu Gast im Kinder- und Jugendhaus Lichtenrade: Interview mit dem KJH-Leiter Heiko Grimm

Das Kinder- und Jugendhaus in der Nahariyastraße 19

Heiko Grimm leitet das KJH seit 2017

Von Boxen bis ...

...Puppentheater

Nach dem Boxtraining (Foto: Heiko Grimm)

Nur für Mädchen...

(Foto: Heiko Grimm)

Der Basketballplatz vor der Neuertüchtigung

... und nach der großen Grafittiaktion in den Osterferien 2024 (Foto: QM)

(Foto: QM)

Von Boxtraining über Holzarbeiten bis Puppentheater: Zu Gast im Kinder- und Jugendhaus Lichtenrade

Interview mit dem KJH-Leiter Heiko Grimm

Unser Treffen liegt in den Osterferien. In der Woche vor Ostern bereiten Heiko Grimm und sein Team vor, was sie in der zweiten Ferienwoche mit den Kindern und Jugendlichen veranstalten werden. Der Basketballplatz wurde in einer Grafittiaktion in den Osterferien mit finanzieller Unterstützung durch das QM Nahariyastraße aufgepeppt (Aktionsfonds). „An gutem Willen und auch am Geld ist zum Glück kein Mangel,“ beschreibt Heiko Grimm die Situation, doch liege die Herausforderung beim Evangelischen Kinder- und Jugendhaus, kurz KJH. „Mit was können wir die Jungendlichen begeistern, und was ist mit unseren Ressourcen umsetzbar?“ Sportangebote ziehen immer, besonders angesagt ist Boxen. Unser Interview findet im großen Saal direkt neben den aufgehängten Boxsäcken statt. Montagabend wäre hier ein wahrer Boxstall zu beobachten, wenn Trainer Cebrail Beyazgül die Jungs unter dem Motto „Fairboxen“ nach allen Regeln der Fairness trainiert. Dann sind manchmal mehr als 30 Leute hier. Dabei ist jeder willkommen, denn das KJH bietet vorwiegend „offene Arbeit“ an. So lautet der Schwerpunkt und Auftrag des Trägers seit Einweihung des KJH im Jahre 1981. Das ist die Evangelische Kirchgemeinde Berlin-Lichtenrade. Diese Offenheit hat Vor- und Nachteile. Die pädagogische Arbeit wird erschwert durch eine gewisse Unverbindlichkeit. Deshalb sind die Sportangebote ein Schwerpunkt, weil die Jugendlichen so bei der Stange bleiben und immer wieder zum Training kommen. Heiko Grimm boxt einmal die Woche selbst auch mit. Das hält ihn nicht nur sportlich fit, sondern auch in engem Kontakt zu den jugendlichen Boxern.

Heiko Grimms spannender Werdegang

Heiko Grimm leitet das KJH seit 2017. Er stammt aus Ludwigsfelde und arbeitete vor seiner Zeit in Lichtenrade viele Jahre lang im Internat eines evangelischen Gymnasiums in Potsdam. Der gelernte Kraftwerksmaschinist ist Religionspädagoge. Sein Studium absolvierte er an der Fachschule für Theologie im brandenburgischen Falkenberg. Parallel hatte er in Ludwigsfelde eine pietistische Gemeinde gegründet und war neben seiner beruflichen Tätigkeit in dem Potsdamer Internat auch ehrenamtlicher Prediger. Seine Arbeit mit den Gymnasiasten im Internat unterschied sich sehr von seiner heutigen Arbeit mit den Jugendlichen in Lichtenrade. In Potsdam hatte er einen rollenden 24-Stunden-Dienstplan zu gewährleisten, während das KJH zwar täglich, aber nur an den Nachmittagen geöffnet ist. In der Regel ist das von 15 bis 18 Uhr. An manchen Wochentagen wie dem Montag gibt es Boxtraining und andere Aktivitäten auch in den Abendstunden. Das Internat in Potsdam bezeichnet Heiko Grimm als Bildungsort, der neben Elternhaus und Schule den jungen Menschen viel zusätzliche Unterstützung gab. „Wir haben dort über Gott und die Welt diskutiert.“ Und es kam vor, dass Tippfehler auf Plakaten der Internatsleitung von den Schülern entdeckt und verbessert wurden.

Unterstützung beim Start ins Berufsleben

So etwas wäre hier im Nahariya-Viertel undenkbar. Viele der jungen Leute, die das KJH besuchen, beschreibt Heiko Grimm als „leider relativ perspektivlos". Das hat mehrere Gründe. In mancher Familie leben bereits drei Generationen von staatlichen Transferleistungen, so dass die Jugendlichen oftmals keine Vorbilder mit einem Beruf haben. Heiko Grimm berichtet von einem jungen Mann, der da raus wollte und mit Unterstützung vom KJH seine Bewerbungen schrieb. Schließlich konnte er eine Lehre in einem handwerklichen Beruf beginnen. Weil er später für mehrere Monate krank wurde, brach er die Lehre ab. „Diesem jungen Mann fehlte in dem Moment ein Vater oder Großvater, der ihn angetrieben und bestärkt hätte, bei seiner Berufsausbildung weiter am Ball zu bleiben und nicht aufzugeben.“

Mehr Durchmischung - das wär's!

Es klingelt und ein junges Mädchen erscheint. Sie hilft in den Schulferien beim Aufräumen und Saubermachen. Individuelle Betreuung gibt es im KJH ab und zu, wenn es personell möglich ist. Gemeinsam mit einem jungen Syrer hatte Heiko Grimm wegen seiner beruflichen Perspektiven überlegt und ihm beim Schreiben von Bewerbungen geholfen. Leider bekam der junge Mann viele Absagen. Ein Bildungswille sei oft erkennbar, auch bei Kindern und Jugendlichen, die aus Afghanistan stammten und - im Gegensatz zu den Syrern - in ihrem Heimatland nur Kriegszeiten und kaum ein normales Leben mitbekommen hätten. Was die Zukunft angeht, wünscht sich Heiko Grimm eine größere Durchmischung, und zwar in jeder Hinsicht: sowohl was soziale Schichten angeht als auch die Ethnien. Die Mischung aus Jungs und Mädchen im Kindersalter funktioniere gut, doch ändert sich die Lage sehr mit der Pubertät. Werden sie etwa 13, 14 Jahren alt, bleiben viele Mädchen den Aktivitäten im KJH fern. Meist findet ihre Initialzündung dafür während des Fastenmonats Ramadan statt. Bei den jungen Männern hingegen ist das ganz anders. Manche von ihnen kommen ins KJH, bis sie etwa 25 Jahre alt sind. Eine Durchmischung mit den Bewohnern der angrenzenden Einfamilienhaussiedlung fände Heiko Grimm auch wünschenswert.

Das Team des KJH

besteht aus zwei Festangestellten - eine davon ist speziell auf die Mädchenarbeit spezialisiert - und zwei Personen mit einer halben Stelle. Hinzu kommen zahlreiche ehrenamtliche Mitarbeiter und Honorarkräfte. Diese gewährleisten, dass auch spezielle zusätzliche Dinge angeboten werden können. „Angebote, die mal etwas anderes zeigen“. Was das sei? Heiko Grimm fällt zuerst ein Mittelalter-Musiker ein, der mit den jungen Leuten Holzbauarbeiten gemacht und den Lehmofen gebaut hat. Das kam sehr gut an.

Abenteuerspielplatz, Fahrradwerkstatt und weitere Vorhaben

Für die Sommerferien 2024 ist geplant, den Abenteuerspielplatz auf dem KJH-Areal aufzumöbeln. Das Motto lautet „Wir bauen eine Stadt“. Dann werden die Jugendlichen lernen, Nägel einzuschlagen, Bretter zu sägen und Löcher zu bohren. So etwas kennen viele von Zuhause nicht. Heiko Grimm hofft dabei auf einen Nachhaltigkeitseffekt, also dass die KJH-Stadt nach den Sommerferien immer weiter gebaut wird und wächst und gedeiht. Sein Traum wäre so etwas wie eine Lehrwerkstatt, in der die Kinder und Jugendlichen mit pädagogischer Betreuung in verschiedene Berufe hinein schnuppern können. Ein dauerhaftes und regelmäßiges Recyclingprojekt wäre ein guter Anfang in dieser Richtung. Immerhin existiert seit 2021 im KJH bereits eine Fahrradwerkstatt, in der ein Ehrenamtlicher einmal pro Woche Fahrräder zum Selbstkostenpreis repariert.

Puppentheater neben Boxtraining

Auf der Bühne neben den vielen Boxsäcken ist ein Puppentheater zu sehen. Was es damit auf sich hat? Heiko Grimm macht ehrenamtlich Puppentheater in Luckenwalde. Ein regelmäßiges Puppentheater als Kurs hier in Lichtenrade anzubieten, fände er große Klasse. So etwas ist auch für Laien umsetzbar und würde die Kontinuität anregen, ähnlich wie die Boxtrainings von Cebrail. Der versucht, talentierte Jugendliche wettkampftauglich zu machen. Das sei sehr wichtig, denn die jungen Leute brauchen ein konkretes Ziel.

KJH-Öffnungszeiten

Das Kinder- und Jugendhaus Lichtenrade ist täglich von 15 bis 18 Uhr geöffnet, montags nur für Jungs, donnerstags nur für Mädchen. An drei Sonnabenden im Monat öffnet das KJH für sportliche Angebote wie Judo und Boxen, und sonntags finden auch Boxtrainings statt.

Kontakt: Kinder- und Jugendhaus, Nahariyastraße 19, 12309 Berlin, Tel. (030) 7458006, E-Mail: kjh@kjh-berlin.de, www.kjh-berlin.de


Text und Fotos (bis auf die vier anders gekennzeichneten Bilder): © Gerald Backhaus 2024