Zu Besuch im "Jugendcafé am Dorfteich" Lichtenrade...

...war Gerald Backhaus für uns. Leiterin Rosa Samuel und Sammy Halbsguth über eine Institution, die für viele Jugendliche ein zweites Zuhause ist.

Rosa Martins Samuel und Bezirksstadtrat Oliver Schwork

...im angeregten Gespräch im ersten Obergeschoss im Internetcafé. Oliver Schwork ist Leiter der Abteilung für Jugend und Gesundheit im Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg.

Die „Altjugendliche“ Sammy Halbsguth mit Leiterin Rosa Samuel

Rosa Martins Samuel

Sammy Halbsguth

Jugendcafé am Dorfteich: Leiterin Rosa Martins Samuel und Sammy Halbsguth im Interview über eine Institution in Lichtenrade

- von Gerald Backhaus - 

Halligalli in Lichtenrade? Adventliche Stimmung trifft es eher. Beim Besuch der  bekannten Jugendfreizeiteinrichtung am ersten Adventssonntag sind Haus und Gelände vorweihnachtlich geschmückt und voller Menschen. An den Bratwurst-, Crépes- und Glühweinständen ist viel Betrieb. Einige Leute tummeln sich um die Feuerschale, und andere schauen sich das Gebäude von innen an. Besonders viel los ist im ersten Obergeschoss im Internetcafé. Dort spielen ein paar Jungs Computerspiele, andere schauen sich gerade ein Spiel der Fußball.-WM an. Mittendrin steht Bezirksstadtrat Oliver Schworck (SPD). Er ist Leiter der Abteilung für Jugend und Gesundheit im Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg und begrüßt Rosa Martins Samuel. Sie ist die Leiterin dieser bezirklichen Jugendeinrichtung für Jugendliche von 12 bis 20 Jahren und somit Hausherrin des Jugendcafés am Dorfteich. Später ziehen wir uns für das Interview in ein Nachbarzimmer zurück. Mit dabei ist die „Altjugendliche“ Sammy Halbsguth. So werden hier im Jugendtreff diejenigen jungen Männer und Frauen bezeichnet, die der Einrichtung auch noch treu bleiben, während sie schon eine Ausbildung machen oder studieren. Sammy ist 21, studiert berufsbegleitend Soziale Arbeit und war nach ihrer Zeit als Jugendliche hier schon als Praktikantin tätig. Derzeit arbeitet sie in einer Behinderteneinrichtung, möchte später aber "auf jeden Fall was mit Jugendliche machen“. Auf dem jährlichen Weltmädchentag trat sie auf der Bühne auf und beteiligte sich am Kinder- und Jugendparlament des Bezirkes. Sammy gründete das monatliche Sonntagscafé mit und half schon mehrere Jahre lang bei der Organisation des traditionellen Festes am ersten Adventssonntag.

Das erste Internetcafé für Jugendliche in Tempelhof im Jahr 2000

Rosa Samuel stammt aus Portugal und kam im Alter von 13 Jahren nach Deutschland. Sie  lebt in Kreuzberg und leitet die Einrichtung in Lichtenrade schon seit über 20 Jahren. Neben ihrer Ausbildung als Sozialarbeiterin hat sie auch eine Zusatzqualifikation als Medienpädagogin absolviert. „Unser Internetcafé war im Jahr 2000 das erste und damit einzige Medienangebot im damaligen Bezirk Tempelhof“, erzählt sie. Da gab es anfänglich manchmal Gerangel und Revierkämpfe, erinnert sich. Dabei ging es darum, wer wann und wie lange an die Rechner darf. „Wir führten deshalb dann einen stündlichen Wechsel ein.“ Um der grassierenden Computersucht vorzubeugen, darf man aktuell für maximal zwei Stunden an den Computer. Bevor man wieder ran kann, gibt es eine Runde Bewegung. Da wird dann z.B. Basketball gespielt.

Mädchentag, Jungentag und jede Menge Aktivitäten

Das Gelände liegt räumlich gesehen zwischen den zwei Brennpunktgebieten Nahariyastraße und der John-Locke-Siedlung. Rund 70 Prozent der Jugendlichen, die sich im Jugendcafé am Dorfteich treffen, stammen aus der großen Häusern rund um die Nahariyastraße, schätzt Rosa Samuel. Einige andere kommen aus der Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete am Kirchhainer Damm. Kooperiert wird bei der Jugendarbeit natürlich mit einem anderen Akteur im Quartier, dem Kinder- und Jugendhaus (KJH) in Regie der evangelischen Kirchgemeinde. Im Jugendcafé am Dorfteich können die jungen Leute ihre Freunde treffen und reden, zusammen chillen, abhängen oder wie man auch immer dazu sagt, Basketball, Fußball, Tischtennis und Billard spielen, Musik hören, tanzen, basteln, kochen und natürlich das Internetcafé zum Surfen, Zocken und Mailen nutzen. Die regulären Öffnungszeiten beginnen immer nachmittags um 14 oder 15 Uhr. Nur samstags ist geschlossen. Montag ist Mädchentag, Dienstag Jungentag, und am Mittwoch und Donnerstag ist für alle Jugendlichen geöffnet, donnerstags geht es wegen der älteren Jugendlichen sogar bis 22 Uhr. 

Auch sonntags ist geöffnet, und da kommen bis zu 60 Jugendliche

Die Sonntagsöffnung des Jugendcafés begann im Jahr 2006 und geht auf die Anregung einer Praktikantin zurück. Das sei wichtig, weil viele Jugendliche daheim nicht viel Platz bzw. kein eigenes Zimmer besitzen, erzählt Rosa Samuel. Hier können sie sich in Ruhe mit Gleichaltrigen treffen. Sonntags seien Aktionen außerdem viel besser zu veranstalten, weil die Jugendlichen dann nicht geschafft von der Schule kämen, sondern viel ausgeruhter wären. Freitag ist immer Gruppentag. Da trifft sich zum Beispiel die Rollenspielgruppe im großen Tanzraum im Erdgeschoss, rollt die Spielfeld-Matte auf dem Billardtisch aus und startet mit ihren Diskussionen. Neben Freizeitaktionen, gemeinsamen Internetrecherchen und der Hausaufgabenhilfe initiieren Rosa Samuel und ihr Team auch Ausflüge und Reisen. Zum Team gehören Manuela Orzel-Schultze und Josh Buchholz, der sich besonders um die Jungs kümmert, während Rosa Samuel für die Mädchenarbeit verantwortlich ist. Dabei geht es um so wichtige Dinge wie Selbstbehauptung. Als jüngster Mitarbeiter gehört Malek Ben Rhouma zum Team, der eine berufsbegleitende Ausbildung zum Erzieher absolviert. Dies ist aber nur durch die Reduzierung der Vollzeitstellen der festangestellten Kollegen möglich.  

Der Förderverein Dorfteich e.V. sei ganz wichtig, um die vielfältigen Angebote und besondere Aktionen für die Jugendlichen zu initiieren. Dabei finanziert er, was dann Jugendliche für Jugendliche - natürlich mit Unterstützung des Pädagogenteams - selbst umsetzen. Rund 30 Jugendliche und junge Frauen und Männer zählen zur Stammkundschaft im Jugendcafé. Während an manchen Wochentagen nur 10 junge Leute vorbei kommen, sind es an Sonntagen manchmal bis zu 60.

"Geheimnisse" der offenen Jugendarbeit

Nach den größten Herausforderungen befragt, nennt Rosa Samuel zuerst, immer wieder den stetigen Wechsel der Jugendlichen, die das Jugendcafé besuchen, auf’s Neue gut zu meistern. „Die neue Generation zu aktivieren. Und die Neuen testen immer erstmal ihre Grenzen bei uns im Haus aus“, erzählt sie. Dass die jungen Leute ihre anfängliche Scheu verlieren, dass Rosa Samuel und ihr Team zu ihnen Kontakt aufbauen kann und die dann folgende Beziehungsarbeit sind der Garant für das Gelingen der offenen Jugendarbeit. „Wir unterstützen die Jugendlichen natürlich mit Gesprächen und Rat und Tat außerhalb von Schule und Elternhaus.“ Berufsorientierung und -beratung sind dabei ganz wichtig, aber natürlich auch Gruppenerlebnisse wie die Reise mit 15 Jugendlichen an die Ostsee nach Warnemünde. 13 Neue und zwei Altjugendliche waren mit von der Partie. Anfangs gab es Hänseleien bzw. Mobbing, erinnert sich Rosa Samuel, doch konnte das durch interaktive Spiele beigelegt werden und ein wirkliches Gruppengefühl entstand. Das war zunächst anstrengend für die mitgereisten Pädagogen, doch hat sich dieser Aufwand gelohnt. Toll sei es, dass es einige Altjugendliche gebe, die mit anpacken, auch wenn sie die Altersgrenze 20 Jahre überschritten haben. So wie Sammy. Oder wie Can, der gerade eine Ausbildung zum Informatiker macht und als Honorarkraft regelmäßig das Internetcafé betreut. 

Das Haus, die Terrasse und die Personalfrage

Das Gebäude auf dem bezirkseigenen Grundstück wurde nicht als Einfamilienhaus gebaut und später umgenutzt, wie man auf den ersten Blick vermuten könnte. Es entstand 1953 als Jugendeinrichtung. Angeregt hatten das die amerikanischen Besatzer in Westberlin, die das Konzept für derartige Jugendfreizeiteinrichtungen aus den USA mitbrachten. Vorher stand mal die alte Dorfschule von Lichtenrade auf dem Areal. Auf Reste von deren Fundament könne man auf dem Fußballplatz stoßen, erzählt Rosa Samuel und ergänzt: „Weil das Geld in den fünfziger Jahren dann alle war, gibt es leider keine Terrasse an unserem Haus, aber nach langjährigen Bemühungen, auch im Kinder-und Jugendparlament, ist endlich der Bau einer Terrasse bewilligt worden." Apropos genug Geld, wenn sich die Leiterin etwas wünschen dürfte, dann wäre es mehr Personal für das Jugendcafé am Dorfteich. Statt der aktuellen drei Vollzeitstellen bestünde laut Qualitätsmanagement des Landes Berlin ein Anspruch auf viereinhalb Stellen für diese „mittelgroße Einrichtung.“ Weniger Verwaltungsbürokratie - „die wurde über die Jahre immer mehr“ - würde die Arbeit des Pädagogenteams entlasten. Und hoffentlich gibt es 2023 keine Einsparungen, die die Jugendfreizeiteinrichtungen betreffen. Dann könnten mehr Reisen mit den Jugendlichen stattfinden, so wie die Fahrt an die Ostsee oder ein Tagesausflug zum Schlittschuhlaufen, ohne dass deshalb das Haus in Lichtenrade für die Daheimgebliebenen geschlossen bleiben muss.

Kontakt

Jugendfreizeiteinrichtung JUGENDCAFÈ AM DORFTEICH, Alt-Lichtenrade 103, 12309 Berlin, Tel. (030) 90277 8231, E-Mail: onlinelira@gmail.com. Weitere Informationen und aktuelle Veranstaltungen auf https://www.berlin.de/ba-ts/jugendfreizeiteinrichtungen/einrichtungen/jugendcafe-lichtenrade/aktuelles/ und www.facebook.com/jugendcafe.dorfteich

Text & Fotos: © Gerald Backhaus 2022